„Mein Job ist es, anderen Menschen das Feld zu bereiten“
Im Dezember 2021 wurde André Henning als Bundestrainer der deutschen Hockeyherren vorgestellt. 37 Jahre war er damals erst alt, hatte aber schon 14 Jahre Erfahrung als Chefcoach gesammelt. Innerhalb von vier Jahren holte der gebürtige Velberter mit seinem Team EM- und WM-Gold sowie die Silbermedaille bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris. Anlässlich des Global Coaches Day an diesem Donnerstag (25. September) spricht der studierte Jurist über die Herausforderungen, denen sich Trainer*innen im deutschen Leistungssportsystem stellen müssen - und darüber, warum er trotzdem seinen Traumjob gefunden hat.
DOSB: André, unter dem Hashtag #ThanksCoachDay können am Global Coaches Day Danksagungen an Trainer*innen versendet werden. Was ist der schönste Dank, den du bekommen kannst?
André Henning: Solche Tage sind für mich eher Show, für ehrliche Wertschätzung braucht es sicherlich mehr als Hashtags. Den schönsten Dank erhalte ich in internen Feedbackrunden. Zuletzt hat dort ein langgedienter Nationalspieler gesagt, er sei sehr glücklich, dass er noch ein paar Jahre bei uns weitergemacht hat. Gar nicht wegen der Erfolge, sondern weil er sich in unserem Kreis so wohl, wertgeschätzt und sicher fühlt. Genau das ist die Atmosphäre, die mein Staff und ich schaffen wollen, damit die Spieler so leistungsorientiert wie möglich arbeiten können und dabei mental und physisch gesund bleiben. So ein Lob bedeutet mir sehr viel.
Du hast deine eigene, durchaus vielversprechende Spielerkarriere früh wegen eines Kreuzbandrisses beenden müssen. Was hat damals den Ausschlag dafür gegeben, dass du als 23-Jähriger das Amt des Cheftrainers beim Bundesligisten Uhlenhorst Mülheim übernommen hast?
Die Menschen im Verein, die mich gebeten und letztlich überredet haben, in einer Notsituation zu helfen. Ich wollte eigentlich Jurist werden, Cheftrainer im Leistungssport kam in meiner Lebensplanung nicht vor. Aber ich wollte die Jungs nicht hängen lassen, und so habe ich damals den Sprung auf die Bundesliga-Trainerbank gewagt.
Eine Entscheidung, die mit Blick auf deinen Erfolgsweg nicht die schlechteste war. Dass du Bundestrainer werden würdest, haben viele schon früh geahnt. Wann hattest du erstmals das Gefühl, dass dieser Schritt kommen würde?
Ich bin grundsätzlich kein Mensch, der zu weit in die Zukunft plant. Bevor ich die Nachfolge von Kais al Saadi übernahm, hatte es schon mehrfach die Gelegenheit gegeben. Aber erst damals spürte ich, dass die Zeit dafür reif war. Ich kannte viele der Spieler aus meinen Stationen in der Bundesliga oder von den U-Nationalteams und wusste, dass mit dem Team etwas gehen kann und dass diese Spieler es verdienen würden, dass ich mich voll für sie reinhänge. Ich bin sehr froh und dankbar, dass mir der Deutsche Hockey-Bund diese Chance gegeben hat.
Die erfolgsverwöhnten deutschen Herren hatten seit 2013 keinen Titel gewonnen. Seit du da bist, sind sie Welt- und Europameister geworden und haben Olympiasilber geholt. Was bedeutet dir das?
Auch wenn es ein wenig pathetisch klingen mag: Persönlich bedeuten mir die Erfolge fast gar nichts, ich mache mir wenig aus Titeln, kann mit dem Begriff Weltmeistertrainer nichts anfangen. Aber wenn ich sehe, was es den Jungs bedeutet, diese Titel zu gewinnen, und auch dem Verband und unserem Umfeld, dann macht es mich glücklich und treibt mich an, weiterhin erfolgreich zu sein. Diese positiven Emotionen haben natürlich auch mich tief berührt.
Worin, wenn nicht in Titeln, misst du denn deinen persönlichen Erfolg?
Mir ist schon bewusst, dass wir in einer Leistungsgesellschaft leben und dass die Leistung eines Trainers auch in Titeln gemessen wird. Aber mir kommt der Faktor, dass Menschen ihr Glück finden in dem, was sie tun, oft zu kurz. Für mich steht also im Vordergrund, dass sich die Menschen, die ich führen darf, wohlfühlen und ich dabei mithelfen kann, ihnen ein Umfeld zu schaffen, in dem sie ihre Leistung optimal abrufen können, denn nur dann ist maximaler Erfolg möglich. Die Titel, die wir mit dem Herren-Nationalteam gewonnen haben, sind das Ergebnis des Teamgeists und der Art des Miteinanders, das wir pflegen. Deshalb messe ich meinen Erfolg an erster Stelle daran, ob es uns gelingt, dieses Umfeld zu schaffen.
Ein großes Herz für das Ehrenamt - einfach unbezahlbar
Über Geld wird viel geredet, auch im Sport. Aber das, was sie für unbezahlbar hält, kann Daniela Anschütz-Thoms derart emotional schildern, dass nicht einmal für eine Sekunde Zweifel daran aufkommen, dass sie ihr Engagement nicht von monetärer Entlohnung abhängig macht. „Wenn Kinder nach langem Üben feststellen, dass sie etwas können, freue ich mich jedes Mal von Herzen mit. Es ist richtig cool, sie dabei zu beobachten, wie stolz sie sind, etwas gelernt zu haben. Und diejenige zu sein, die ihnen das beibringt, ist das, was die Aufgabe so besonders und befriedigend macht“, sagt die 50-Jährige. Weil an diesem Donnerstag (25. September) der Global Coaches Day ansteht, waren wir auf der Suche nach einer Übungsleiterin, die stellvertretend für ihre Zunft die guten und herausfordernden Seiten des Ehrenamts beleuchtet, auf Daniela Anschütz-Thoms gestoßen. Und im Gespräch wird schnell klar, wie passend diese Wahl war.
Als zweimalige Olympiasiegerin in der Teamverfolgung (2006 in Turin und 2010 in Vancouver) hätte die ehemalige Weltklasse-Eisschnellläuferin ohne Frage eine hauptamtliche Karriere im Trainerbereich anschließen können. „Aber ich habe mich bewusst dafür entschieden, aus dem System auszusteigen. Nicht, weil ich den Sport nicht mehr liebe, sondern weil ich noch einmal ein anderes Leben kennenlernen wollte“, sagt sie. Ihr Geld verdient die gelernte Rechtsanwaltsgehilfin deshalb als Angestellte im Thüringer Wirtschaftsministerium. Aber weil der Sport weiterhin eine Herzensangelegenheit für sie ist, übernahm sie, als ihre Tochter Mia (heute 14) 2016 mit dem Eisschnelllaufen begann, bei ihrem Heimatverein ESC Erfurt, dem sie auch nach der aktiven Karriere immer treu geblieben war, eine Übungsleitung im Jugendbereich.
Sport soll Kindern in erster Linie Spaß bringen
Ihre Aufgabe ist es, dreimal pro Woche Kinder der Klassenstufen eins bis vier im Eisschnelllauf auf den Wechsel an die Eliteschule des Sports in der Landeshauptstadt Thüringens vorzubereiten. „Ich mache das sicherlich nicht des Geldes wegen. Die Summen, die ich als Olympiasiegerin fordern könnte, könnte kein Verein bezahlen. Aber darum geht es mir nicht“, sagt sie. Ihr Antrieb sei, ihre Erfahrungen aus dem Leistungssport weiterzugeben und Kinder dabei zu unterstützen, einen ähnlichen Weg einschlagen zu können. „Die Einstellung der Gesellschaft zum Leistungssport hat sich über die vergangenen Jahrzehnte deutlich verändert, er hat längst nicht mehr den Stellenwert, den ich noch zu DDR-Zeiten auf der Sportschule vermittelt bekommen habe. Ich glaube aber, dass es wichtig ist, den Kindern zu erklären, was Leistungssport ihnen bieten und bringen kann“, sagt sie. Der Sport habe sie zu dem Menschen gemacht, der sie heute sei. „Und ich möchte anderen zeigen, dass es sich lohnt, sich für etwas anzustrengen“, sagt sie.
Dazu gehöre eine gewisse Strenge, die sie jedoch nicht überstrapaziere. „Natürlich klagen Kinder manchmal, dass das Training anstrengend ist und ihnen auch mal etwas weh tut. Dann sage ich: Genau dafür sind wir doch hier! Im Leben bekommt ihr später auch nichts geschenkt, da hilft es nichts, sofort aufzugeben, wenn es mal weh tut.“ Dennoch achte sie darauf, dass die Balance aus Anstrengung und Vergnügen gewahrt bleibe. „Den Kindern soll Sport in erster Linie Spaß bringen, nur dann bleiben sie dabei und können das Beste aus sich herausholen“, sagt sie. Und wenn dann Glücksmomente wie die eingangs beschriebenen gemeinsam erlebt werden, spüre sie, warum die Entscheidung für das Ehrenamt richtig war.
IdS-Fachforum: Zukunft gemeinsam gestalten - stark im Wandel, klar in der Haltung
Rund 80 Teilnehmende aus den Landessportbünden und -jugenden und Vertreter*innen des BAMF trafen sich am 16. und 17. September im DOSB in Frankfurt zum Fachforum des Bundesprogramms „Integration durch Sport“ (IdS) zusammen. Unter dem Motto „Zukunft gemeinsam gestalten!“ wurde zwei Tage lang diskutiert und nach vorne gedacht: Welche Chancen eröffnen sich, wo liegen Herausforderungen - und wie kann IdS auch künftig als starkes Netzwerk wirken?
DOSB-Vorständin Michaela Röhrbein und Daniel Dwars, Referatsleiter im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, betonten die Bedeutung des Austauschs und appellierten, den Dialog lebendig zu halten. Deutlich wurde: IdS muss sich den wandelnden sozialen und politischen Rahmenbedingungen stellen - von demographischen Entwicklungen bis hin zu zunehmenden antidemokratischen Bewegungen und den anstehenden finanziellen Verhandlungen im Bundeshaushalt - was mit Blick auf die neue Förderphase ab 2027 elementar ist. „Ab 2027 werden wir verhandeln müssen, denn wir sehen uns einem Sparhaushalt gegenüber. Unsere Hausaufgabe ist es, das Programm zu halten und für die Zukunft zu sichern! Wir müssen Strukturen bewahren und danach schauen, wie wir das Programm ausbauen können. Vereinsarbeit braucht Sicherheit und stabile Strukturen - deswegen ist es das allerhöchste Ziel, dass wir diese bewahren und nachhaltig verankern können“, so Dwars.
Klare Linien gegen antidemokratische Tendenzen
Im Rahmen einer Art „Live-Podcast“ zum Thema „Umgang mit antidemokratischen Haltungen im Sport“ mit der DOSB-Referentin für Demokratieförderung, Nina Reip, wurde die besondere Verantwortung des Sports als Teil der Zivilgesellschaft betont. Diskutiert wurden zentrale Fragen wie: Welche Rolle nimmt der organisierte Sport in gesellschaftlichen Entwicklungen ein, wo liegen seine Chancen und wo die Grenzen? Denn Sport ist nie neutral - wohl parteipolitisch unabhängig, aber immer gesellschaftspolitisch wirksam. Haltung zeigt sich dabei in klaren Werten wie Fairness, Respekt und der Anerkennung des Gegenübers als Mensch. Vereine sind gefordert, rote Linien sichtbar zu machen, um Sicherheit zu schaffen und demokratische Prinzipien zu wahren. Gleichzeitig braucht es Räume für Auseinandersetzung, da Konflikte unausweichlich sind. Als besondere Bedrohung wurde Rechtsextremismus benannt, der zunehmend versucht, den Sport zu unterwandern. Dem kann nur mit klarer Haltung, Konfliktfähigkeit und einer wehrhaften Zivilgesellschaft begegnet werden. Dabei gilt: Niemand steht allein. IdS kann als starker Anker wirken - doch dafür ist entscheidend, dass sich Vereine und Verbände ihrer eigenen Rolle bewusst werden und diese sichtbar machen, um als Teil eines starken Netzwerks gemeinsam Haltung zu zeigen.
„Anpassung mit Weitblick - IdS stellt die Weichen“
Mit Blick auf die Zukunft stand beim Fachforum das Thema Strategieanpassung des Bundesprogramms „Integration durch Sport“ im Mittelpunkt. Solche Anpassungen sind im Abstand weniger Jahre üblich - diesmal jedoch besonders umfassend. Hintergrund sind tiefgreifende gesellschaftliche Entwicklungen, personelle Veränderungen im DOSB und BAMF sowie die Ergebnisse aus dem Innovationspanel 2023 und der Dialogtour 2024. Die klare Erkenntnis: IdS braucht strukturelle Veränderungen und ein neues Leitbild als inhaltlichen Kompass. Deshalb wurde eine AG Strategie ins Leben gerufen, die die Ausgangslage neu verortet, Zielgruppen schärfer definiert und zentrale Leistungsbereiche weiterentwickelt hat. Im Fachforum selbst konnten die hauptamtlichen IdS-Mitarbeiter*innen in einem interaktiven World Café Feedback geben: Was überzeugt, wo liegen Stolpersteine, welche Chancen eröffnen sich? Denn: „2030 beginnt heute! Eine nachhaltige Integration in und durch den Sport braucht eine nachhaltige Strategie, die durch ein einheitliches Vorgehen auf Bundesebene bei gleichzeitigen, individuellen Gestaltungsspielräumen auf Länderebene gekennzeichnet ist“, betonte Marco Arsenijevic, kommissarischer Fachbereichsleiter Sport und Gesellschaft sowie Programmleiter von IdS beim Landessportbund Sachsen.
Praxisnah, vielfältig, vernetzt
Der zweite Tag des Fachforums stand ganz im Zeichen der Praxis. In interaktiven Workshops rückten Themen wie Vereinsberatung, (Anti-)Rassismus, Haltung im Sport oder praxisnahe Tools wie KI und Canva in den Fokus. Die Teilnehmenden diskutierten Bedarfe, tauschten Erfahrungen aus und entwickelten neue Ideen für ihre Arbeit vor Ort. Ein „Gallery Walk“ bot zudem Raum, verschiedene Projekte aus dem Bundesprogramm, dem DOSB und angedockten Projekten kennenzulernen.
Gemeinsamer Ausblick
Das Fachforum hat deutlich gemacht: Die Zukunft von „Integration durch Sport“ wird im Miteinander gestaltet. Zwei Tage voller Diskussionen, Impulse und praktischer Einblicke haben wieder gezeigt, wie groß die Kraft des Netzwerks ist. IdS wirkt nicht allein über Konzepte und Strategien, sondern vor allem dort, wo Begegnung stattfindet. Mit dem Fachforum wurde so nicht nur über Inhalte beraten, sondern auch das Bewusstsein gestärkt: IdS gestaltet die Zukunft gemeinsam.